Eigentlich wollten wir ja nach Sardinien - ein paar Tage in der Sonne Kurven wetzen und dann entspannt mit Auto und Anhänger wieder heim...aber irgendwie war das dann zu langweilig. Beim vorletzten Treffen vor Abreise überrissen wir nochmal die Details wie Anhänger holen, Anhänger zurückbringen, Fährkosten, Mautkosten und so weiter. Und plötzlich fragten wir uns alle drei gleichzeitig: "Gibt's nicht noch Alternativen?".
Natürlich hatte ich die schon parat. Ich wollte mich ohnehin lieber einfach aufs Moped setzen und los fahren, ohne Hänger und die Parkplatzsuche am Fährhafen. Die Alternative hieß wieder Osten. Nachdem wir 2015 bereits über Tschechien, Slowakei, Ukraine und Rumänien ans Schwarze Meer schaukelten, wussten wir um die Naturschönheiten im Osten und die unvergesslichen Momente einer gefühlten Zeitreise. Der Plan wurde einstimmig angenommen und so lauteten die Ziele: Österreich, Italien, Slowenien, Kroatien, Montenegro, Albanien, Mazedonien, Griechenland, Kosovo und Bosnien-Herzegowina. Dass wir nur neun Tage zur Verfügung hatten war zwar schade, aber dann musste die erste Etappe einfach etwas länger ausfallen.
Tag 1 - Anreise
Wie üblich starten wir zu dritt Mitte Mai ins Abenteuer Balkan. Treffpunkt 5 Uhr morgens, damit wir unser anvisiertes Ziel auch erreichen. Zunächst noch im Sonnenschein auf die Autobahn und nach Österreich bis Villach. Fünf Stunden Autobahn sind zwar kein besonders erhebendes Erlebnis, mit einer GS lässt es sich aber aushalten. Zumindest ist es warm und trocken. Die Wetteraussichten versprechen aber nichts Gutes.
Ab Villach verlassen wir die Autobahn dann auch und machen einen kleinen Schwenk nach Slowenien. Dieses Land hat sich in den letzten Jahren tatsächlich zu einem meiner Lieblingsländer gemausert. Kurvige Straßen, bergige Landschaften, alles wirkt herausgeputzt und erinnert ein bisschen an den Bayerischen Wald. Erschreckend wirkt auf mich von Mal zu Mal der Grenzübertritt von Slowenien nach Italien: von herausgeputzt kann gar nicht die Rede sein, alles wirkt verlassen und resigniert. Fast so wie das tschechische Grenzland vor vielen Jahren.
Die Entwicklung der letzten Jahre merkt man allerdings auch am Preisniveau. Da ist nicht mehr viel um zu westlicheren Urlaubsländern. Macht aber nix, dieses Jahr muss Slowenien ohnehin nur als Durchreiseland herhalten.
Über den Passo di Predil verlassen wir Italien und nehmen die ersten Kurven unter die Räder. Die Strecke über Tolmin und Kobarid im Sočatal fasziniert jedes Mal wieder. Das Wasser des Flusses Soča strahlt uns hellblau und klar an. Die Straßen sind gut in Schuss, nur der nächste Tankstopp hält uns schließlich auf. Beim Blick in den Himmel ziehen meine beiden Wegbegleiter schon mal die Regenklamotte über. In blindem Vertrauen auf Gore-Tex-Inlays habe ich meinen Regenkombi gar nicht mitgenommen. Und es sollte auch noch eine Weile trocken bleiben. Erst als Chris seine Regenhose auszieht, fängt es selbstverständlich kurz danach an zu regnen.
Hilft nix, durch die Wolken müssen wir jetzt eben durch. Kroatien lockt schon mit hoffentlich Sonnenschein, Meer und der unvergleichlichen Küstenstraße Jadranska Magistrala. Triest und die Halbinsel Istrien lassen wir links liegen und schon sieht man das Meer glitzern. Ab jetzt heißt es Anreise erledigt, Urlaub beginnt. Entlang der Küstenstraße fahren wir (wieder im Trockenen) weiter nach Süden bis zur Ortschaft Senj. Dort sollte am Campingplatz Ujča die erste Etappe enden.
Der Campingplatz liegt idyllisch in einer winzigen Bucht. Einige Meter oberhalb verläuft die Küstenstraße. Der Campingplatz ist eher klein, aber direkt am Meer gelegen und zu dieser Jahreszeit kaum frequentiert. Übrigens einer der schönsten Campingplätze, auf denen ich je war.
Leider waren wir aber noch nicht da. Zuerst noch einkaufen bei Plodine. Gerade als ich auf dem Supermarktparkplatz mein Moped abstelle, würgt Chris neben mir seine BMW R 1100 GS (auch ALF genannt) ab und tönt: "Jetzt haben wir ein Problem". Der Druckpunkt der Kupplung war quasi nicht mehr vorhanden, ein Auskuppeln unmöglich. Eher ungünstig, wenn man nicht nur vor hat auf der Autobahn Kilometer zu fressen. Dank unserer geballten Fachkompetenz können wir die Ursache des Problems nicht ausmachen und ein Telefonat mit dem Freundlichen unseres Vertrauens ist nötig. Es sollte sich herausstellen, dass das Rückhollager defekt ist. Zum Glück passierte uns das Malheur im Norden Kroatiens auf einem Parkplatz unweit des Campingplatzes und nicht irgendwo in den albanischen Alpen. Nachdem uns dämmert, dass das Problem wohl doch beträchtliche Auswirkungen auf die nächsten Tage haben könnte, ist als erstes der ADAC an der Reihe. Hannes und ich kaufen derweil ein paar Kilo Grillfleisch und reichlich Dosenbier, um den Kummer wegspülen zu können.
In der Zwischenzeit ist klar, dass ALF heute noch auf einen Schlepper geladen und am nächsten Tag nach Rijeka zur BMW-Werkstatt gebracht werden soll. Also fahren Hannes und ich erst mal zum Campingplatz und bauen unser Nachtlager auf. Der nach ca. zwei Stunden eintreffende ADAC-Abschleppfahrer ist so nett, und bringt Chris später sogar noch zum Campingplatz. Noch am Abend entscheiden wir, morgen am Campingplatz zu bleiben und abzuwarten, wie schnell BMW den alten ALF wieder fit bekommen würde. Dann gönnen wir uns eben ein Karlovačko mehr am Abend.
Tag 2 - Waiting for ALF
Der nächste Tag steht ganz im Zeichen von Telefonieren, Abklären und Hoffen. Während Chris schließlich mit dem Fahrer vom Vortag nach Rijeka fährt, kaufen Hannes und ich für den Ruhetag ein (Fleisch und Dosenbier). Mittags erreicht uns dann die Hiobsbotschaft: BMW benötigt mindestens sieben, eher zehn Tage für die Reparatur. Laut Chris war ihnen die Motivation auch nicht gerade ins Gesicht geschrieben. Der ADAC-Mitarbeiter versucht nochmals sein Bestes, um eine Reparatur zu beschleunigen, jedoch ohne Erfolg. Es bleibt letztlich nichts anderes übrig, als ALF zurück nach Deutschland transportieren zu lassen. Chris muss dann am nächsten Tag mit einem Leihwagen die Heimreise antreten.
Und so verbringen wir den Nachmittag und Abend zusammen mit den Campingplatzbetreibern unter deren Markise, um uns vor dem wieder einsetzenden Regen zu schützen. Später wird dann gegrillt und eine Flasche Plavac darf auch nicht fehlen.
Tag 3 - Jadranska Magistrala
Bereits früh am Morgen teilen sich nun leider unsere Wege. Chris wird von seinem kroatischen Haus- und Hoffahrer abgeholt und wir verabschieden uns. Immer wieder überraschend, wie leicht man in anderen Ländern noch große Hilfe von völlig Fremden bekommt. Ich bin mir nicht sicher, ob sich in Deutschland so schnell jemand gefunden hätte, der Chris drei Mal nach Rijeka fährt. Und sich dann bei der Annahme des Trinkgeldes, damit zumindest die Spritkosten gedeckt sind, fast ein bisschen schämt....
Hannes und ich brechen auch die Zelte ab und machen uns auf den Weg Richtung Süden. Leider wieder im Regen, aber die Aussichten auf Sonne sind gut! Wir lassen uns die Küstenstraße entlang treiben, bis wir zwischen Zadar und Split im dichten Verkehr stecken bleiben. Zuvor können wir aber den nördlichen Teil der kroatischen Küste durchaus genießen. Die Inseln Krk und Pag wirken im Vorbeifahren seltsam trostlos und kahl, als würde dort kein Lebewesen überleben können. Ob das an den durch das Velebitgebirge verursachten Fallwinden liegt? Der erste Eindruck täuscht aber. Fährt man die Inseln ab, was durchaus auch empfehlenswert ist, wird man landschaftlich wie kulinarisch verwöhnt. Nur ein paar Meter innerhalb der kargen Ostklippen ist von trostlos nichts mehr zu spüren. Aber wir lassen auch die Inseln rechts liegen, wir wollen ja eigentlich nach Albanien.
Erst der Streckenabschnitt Zadar - Split trübt die Fahrfreude zunehmend. Dichter Verkehr, den ich so vor allem um diese Jahreszeit auf der Küstenstraße nicht gewohnt bin, kommt auf. In endlosen Blechschlangen quälen wir uns von Ort zu Ort. Es kommt einem vor, als würde man 100 Kilometer durch eine einzige Ortschaft kriechen. Da ich aber weiß, wie überwältigend Süddalmatien ist, nehme ich den Verkehr emotionslos hin. Bei der Rückreise werden wir diesen Abschnitt allerdings meiden, schwören wir uns.
Als der Verkehr endlich wieder fließt, werden wir abermals abrubt gestoppt. Dieses Mal aber positiverweise aufgrund eines kulinarischen Highlights in Kroatien: Überall am Wegesrand findet man Grillhäuschen, in denen Spanferkel (Sposau in Bayern) und Lamm am Spies gegrillt wird. Nach einem kurzen Plausch mit dem vermeintlichen Inhaber, der uns gleich noch ein paar Routentipps mit auf den Weg gibt, geben wir uns der Versuchung hin und bestellen eine Platte Schwein und Lamm für zwei, mit Bratkartoffeln, Weißbrot und Lauchzwiebeln. Und trotz des stolzen Preises werden wir nicht enttäuscht: die Platte ist ein Gedicht! Sollte man unbedingt probiert haben.
Mit vollem Magen fahren wir nun bei strahlendem Sonnenschein weiter gen Süden. Kroatien wird im Süden durch den bosnischen Meerzugang in zwei Teile geteilt. Süddalmatien erreicht man daher nur über einen ca. 20 Kilometer langen Korridor auf bosnischen Hoheitsgebiet. Und genau in diesem Korridor wollten wir eigentlich den nächsten Campingplatz ansteuern. Da wir aber dank Sposau und Lamm viel Zeit verloren haben, halten wir bereits in Zaostrog und nehmen dort den nächstbesten Campingplatz. Den Abend lassen wir standesgemäß mit Plavac und Nudeln ausklingen, Fleisch hatten wir genug.
Tag 4 - Dalmatien und montenegrinische Küste
Allmorgendliches Ritual: Kaffeekochen. Hannes ist unser offizieller Kaffeebeauftragter und versorgt mich allmorgendlich mit bestem Kaffee. Allerdings verlieren wir uns manchmal derart im Kaffeeritual, dass sich die Abreise mehr verzögert, als sie sollte. Irgendwann ist dann aber alles in den Koffern und der Gepäckrolle verstaut und wir passieren nach kurzer Zeit zwei Mal die Grenze Kroatien / Bosnien-Herzegowina.
Süddalmatien ist für mich der mit Abstand schönste Teil Kroatiens. Die Vegetation verändert sich, die Straßen sind kurviger, die Inseln vor der Küste wirken irgendwie südländischer. Und dann erscheint langsam die Hängebrücke namens Franjo-Tuđman-Brücke von Dubrovnik im Blickfeld. Die imposante Hängebrücke mit einer Länge von 518 Metern wurde in den Jahren 1998 bis 2002 errichtet und verkürzt die Strecke nach Dubrovnik um ganze 12 Kilometer. Unter dem Meisterwerk der Brückenbaukunst liegen riesige Kreuzfahrtschiffe im Hafen. Deren Größe ist ebenso beeindruckend. Auch wenn das bedeutet, dass gerade zehntausende Touristen die Gassen von Dubrovniks Altstadt verstopfen. Dubrovniks Altstadt erlebt man am besten in den Abendstunden, wenn die Touristenmassen wieder bei all inclusive ihr Menü auf den Booten vertilgen. Übrigens dient Dubrovnik auch als Drehkulisse für die Serie "Game of Thrones". Kein Wunder, denn beeindruckend ist die Altstadt allemal. Auf den blank polierten Böden spiegeln sich abends sogar ein wenig die beleuchteten Fassaden. Nicht ganz billig, aber empfehlenswert: Fisch essen direkt am alten Hafen im Restaurant Lokanda Peskarija.
Wir sind aber nicht auf einem Städtetrip und fahren deshalb nur an Dubrovnik vorbei, ohne es aber im Stau zu versäumen das typische Postkartenmotiv der Altstadt von oben zu bewundern.
Nach weiteren kurvenreichen Küstenkilometern in Kroatien erreichen wir schließlich die Grenze zu Montenegro. Die Einreise ist denkbar unkompliziert, sodass wir ohne Verzögerung dem weiteren Straßenverlauf folgen. Die Bucht von Kotor könnten wir umfahren, tun wir aber nicht. Wir werden bei der Rückreise einen Großteil Montenegros bereisen, deshalb nehmen wir aus Zeitgründen die Fähre zur anderen Seite der Bucht. Kostenpunkt 2 € und nur wenige Minuten Fahrzeit verschaffen uns einen signifikanten Zeitvorsprung.
Montenegros Küste ist wider Erwarten kein fahrerisches Highlight. Eine Ortschaft folgt der nächsten und wir spulen Kilometer um Kilometer im Kriechgang ab. Weiter südlich wird es dann aber wieder entspannter und die Straße verläuft auch durch weniger besiedelte Gebiete. Hier ist die Küste wieder ein angenehmer Wegbegleiter und das Cruisen entspannt.
Wir fahren weiter bis zum südlichen Zipfel des Landes und finden einen Campingplatz am Meer. Der Strand wird "Miami Beach" genannt. Noch ist hier nichts los, aber die Strandschirme und Bars lassen erahnen, dass es hier in den Sommermonaten ähnlich voll werden wird wie auf der Gegenseite der Adria. Einem Sprung ins kühle Nass können wir uns nicht erwehren, auch wenn das Meer hier noch saukalt ist. Beim rauswatscheln entdeckt Hannes dann nochmals die erwähnte Strandbar und wir wollen dort unser Glück versuchen. Tatsächlich ist sie geöffnet und wir genehmigen uns zwei kühle Bierchen, bevor wir zu den Zelten zurück marschieren.
Tag 5 - Albanien und Kosovo
Heute soll es in die albanischen Alpen gehen. Eigentlich wollten wir ja zuerst noch die albanische Küstenstraße abfahren und über Griechenland und Mazedonien in den gebirgigen Teil Albaniens schwenken. Dazu fehlt uns aber aufgrund des Zwischenfalls mit ALF schlichtweg die Zeit. Außerdem haben wir genügend Küste gesehen. Wir sind uns schnell einig, dass die Alpen und Kosovo Priorität haben.
Fertig bepackt und ob der heutigen Etappe schreit mir Hannes aus seinem Helm entgegen: "Mir san de coolsten vom ganzen Campingplatz", was ich freudig nickend bestätigte und den Anlasser drücke. Es passiert bloß nichts. Nur ein unbarmherziges Klackern ist zu hören. Die Batterie will nicht mehr. In uns keimt der Gedanke auf, dass wir vielleicht doch nicht die coolsten vom ganzen Campingplatz sind. Also alles wieder abgepackt, Sitzbank runter, Batterie anstarren und nochmals probieren. Wie so oft hilft das bloße anstarren der Batterie nichts. Auch ein Nachziehen der Schrauben führt nicht zum gewünschten Erfolg. Vermutlich habe ich doch zu viele Fremdabnehmer ran gebastelt und das Laden diverser elektronischer Geräte über Nacht sein Übriges. Also mache ich mich auf den Weg, um von einem Camperkollegen ein Starthilfekabel zu schnorren. Leider schlafen die meisten noch und alle die ich frage, haben keines an Bord. Ich warte deshalb vor einem Ungetüm von Offroad-Wohnmobil mit Schweizer Zulassung, bis ich drinnen endlich Stimmen höre. Die Türe geht auf und die Besitzer schauen mich noch schlaftrunken und verwundert an. Ich erkläre mein Problem und tatsächlich können sie mir helfen. Natürlich ist das Starthilfekabel ganz unten in der hintersten Metallbox verstaut. Leicht peinlich berührt stehe ich da und warte bis sie den Offroader halb ausgeleert haben. Aber schließlich halte ich das ersehnte Gut in Händen und wir starten meine GS. Nachdem ich mich artig bedankt und alles wieder aufgeladen habe, starten wir ernüchtert Richtung Albanien.
Wir wollen auf dem schnellsten Weg nach Shkodra und folgen den Wegweisern. Schnell geraten wir in eine Baustelle, die gefühlt nie endet. Schotter macht ja Spaß, denke ich mir, und ziehe am Gas. Der Schotter wird immer tiefer und ist so lose, dass wir langsam Probleme bekommen nicht stecken zu bleiben. Da hilft nur Geschwindigkeit. Plötzlich aber das nächste Problem: ein Tunnel, in dem ein Bagger steht. Wir tasten uns an den Bagger ran, aber es ist kein Vorbeikommen möglich. Also wieder umdrehen und alles zurück. Der Tag verläuft bisher in keinster Weise so wie erwartet. Zum Glück weist uns ein Vermessungsingenieur kurz nach der Kehrtwende den Weg nach rechts. Dort würde man den Tunnel umfahren können, gibt er uns per Handzeichen zu verstehen. Ausgezeichnet - wenn man den Weg findet. Erwartungsgemäß tun wir das nicht. Wir kurven auf kleinsten Straßen im montenegrinischen Bergland umher und wissen gar nicht mehr recht, wo wir eigentlich sind. Dann kommt plötzlich die Küste wieder in Sicht! Ganz offensichtlich haben wir also nicht den Tunnel umfahren, sondern sind in den Bergen eineinhalb Stunden in die falsche Richtung gegurkt. Zumindest wissen wir wieder wo wir sind. Immer optimistische bleiben...es könnte ja auch noch regnen.
Um endlich nach Albanien zu gelangen, fahren wir in nördliche Richtung nach Bar, von wo aus eine alternative Route nach Shkodra führt. Und dieses Mal klappt es, wir erreichen den albanischen Grenzübergang. Auch hier gibt es keine Probleme bei der Einreise. Als wir nach der Grenze kurz stehen bleiben, bereuen wir diese Entscheidung schon. Zwei Frauen, die einer fahrenden ethnischen Minderheit zuzurechnen sind, rücken uns nicht mehr von der Pelle. "Euro, Euro" werden wir unablässig angebettelt. Wir suchen das Weite und uns wird klar, dass wir jetzt wieder auf Zeitreise sind. Albanien ist nach wie vor eines der ärmsten Länder Europas, und das sieht man auch. Die Straßen sind teilweise nur rudimentär vorhanden, viele Häuser heruntergekommen und schäbig. Eine Aufbruchsstimmung wie in anderen östlichen Ländern ist nicht zu spüren. Ich vermute, dass die Resignation nicht im Unwillen der Bevölkerung liegt, sondern sicherlich den Umständen im Land nach einer wechselhaften Geschichte geschuldet ist. Nach 40 Jahren Diktatur und Abschottung ist die Öffnung des Landes noch nicht sehr lange her. Wie will man da erwarten, dass die Armut von heute auf morgen verschwindet?
Albanien erinnert uns auf jeden Fall stark an die ländliche Ukraine. Und wieder überraschen uns die Menschen, die uns begegnen. Trotz aller Widrigkeiten scheinen sie niemals den Mut zu verlieren, dass es doch noch vorwärts geht. Wenn wir mit unseren völlig deplatziert wirkenden Motorrädern durch die Dörfer fahren, ernten wir grundsätzlich überraschte Blicke, die sich aber ohne Ausnahme in freundliche und freudige wandeln. Es kommt uns vor, als würde uns das halbe Land beim Vorbeifahren zuwinken. Stehen wir recht ratlos vor einer Kreuzung, weisen uns Einheimische verlässlich den Weg. Wir haben den Eindruck, dass die Menschen nicht mit Neid auf unsere Reisevehikel blicken, sondern sich freuen, dass wir ihr Land besuchen und kennen lernen wollen.
Was uns schon nach kurzer Zeit auffällt: In Albanien fährt wirklich jeder einen alten Mercedes-Benz. Gefühlt 90% aller Fahrzeuge, die wir sehen, sind aus den deutschen Schwabenlanden. Und mit ihren Mercedes fahren sie nicht nur stolz durch die Gegend, sondern auch wie die Henker. Der albanische Verkehr ist nichts für Zartbesaitete. Fährt man dann in eine Ortschaft, bietet sich immer der gleiche wiederkehrende Anblick. Heruntergekommenen bis zerstörte Häuser und plötzlich ein perfekt ausgebauter Marktplatz im Ortskern mit Cafés und Geschäften. Dort spielt sich offenbar der Großteil des Lebens ab. Die Cafés sind eigentlich immer gut besucht und es wimmelt vor Menschen.
Wir schlängeln uns durch die letzten Gassen, bevor wir uns endlich in den verlassenen albanischen Alpen wiederfinden. Die SH22 ist passabel ausgebaut, wenn auch schmal, dafür wenig frequentiert. Wir schlängeln uns immer weiter bergauf. Die Landschaft wirkt fast wie die des Dartmoor Nationalparks in England. Neben Bergen um uns herum finden sich immer wieder Hochebenen, die eher karg nur mit Farnen und Gräsern bewachsen sind. Die Landschaft und die Einsamkeit beginnen zu wirken und wir verlieren uns im Kurvengewirr der Straßen. Landschaftlich auf jeden ein Fall ein sehr schönes Fleckchen Erde, stellen wir fest. Nach einer kurzen Pause folgen wir dem Verlauf des Flusses Drin nordwärts. Auch hier ändert sich das Bild kaum. Viele Kurven, Wälder, Hochebenen und der Blick gen 2000er Berge bereiten uns fahrerisches Vergnügen.
Bei Viçidol wollen wir die Grenze zum Kosovo überqueren. Im Vorfeld sinnierten wir doch ein wenig, was uns erwarten würde. Immerhin haben bei weitem nicht alle Länder Europas die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt und es befinden sich nach wie vor ausländische Truppen im Land. Wir machten uns auf das Schlimmste gefasst - und sollten wieder einmal völlig überrascht werden.
An der Grenze werde ich zunächst in bestem Deutsch mit den Worten "Hallo. Wie geht es Ihnen?" begrüßt. Völlig überrascht kommen wir ins Gespräch und als die kosovarischen Grenzer feststellen, dass wir quasi bayerische Amtskollegen sind, werden wir überschwänglich im Land willkommen geheißen. Unsere Unterhaltung zieht sich in die Länge und wir verbringen tatsächlich knapp eine Stunde am Grenzübergang. Mehrfach bekräftigen die Beamten, wie sehr sie die Deutschen schätzen würden und sie sich freuen, dass wir den Kosovo bereisen. Nachdem wir eine Versicherung für 15 € abgeschlossen haben, ist ein Erinnerungsfoto obligatorisch. Eigentlich ist fotografieren am Grenzübergang streng verboten, aber für uns macht man eine Ausnahme. Hazir zückt sogleich seinen Notizblock und notiert sich unsere Emailadresse zwecks Fotoaustausch. Er würde mir eine Facebook-Freundschaftsanfrage schicken, sodass ich ihm das Foto zukommen lassen kann. Mit dem Geheimtipp, unbedingt kosovarisches Rindfleisch im Norden des Landes probieren zu müssen, ziehen wir beeindruckt weiter. Die freundlichste Grenzkontrolle jemals - und das im Kosovo...
Nun sind wir natürlich angestachelt und gespannt, was das Land sonst noch zu bieten hat. Schnell bemerken wir, dass hier alles im Aufbruch ist. So gut wie alle Häuser werden gerade restauriert, überall herrscht geschäftiges Treiben vor. Kaum einer sitzt hier nur im Café und wartet nur auf bessere Zeiten. Es scheint voran zu gehen, wenn auch sicherlich mit Hilfe von Fördermitten aus Europa. Trotzdem sind wir beeindruckt, was die Kosovaren in so kurzer Zeit aus ihrem neuen Land gemacht haben.
Mit den montenegrinischen Bergen im Blick ist der Norden des Landes auch landschaftlich nicht zur verachten. Es macht Spaß entlang der grünen Weiden zu gleiten und es in jeder Ortschaft freundlich winkenden Kindern gleich zu tun. Wir sind begeistert und wünschten uns, dass wir mehr Zeit hier verbringen könnten. Eines ist sicher: wir kommen wieder hier her. Bevor wir wieder nach Montenegro ausreisen, folgen wir dem Tipp von Hazir und besorgen uns kosovarische Lende vom Rind. Für 4 € das Stück...
Es dämmert schon fast als wir die Grenze zu Montenegro passieren. Weit und breit gibt es in der Nähe von Rožaje nur einen Campingplatz. Dabei handelt es sich aber eher um den Garten des Hausbesitzers, der sich gern "Professor" nennt. Er winkt uns herein und wir können unser Zelt aufstellen. Früher war der Campingplatz mit Ferienhaus sicher ein schöner Flecken, aber inzwischen hat der "Professor" alles ein wenig herunter kommen lassen. Die Fassaden haben ebenso bessere Zeiten gesehen wie der "Campingplatz" selbst. Überall liegt irgendwas herum und scheint der Witterung seit Jahren ausgesetzt zu sein. Die Tischtennisplatte beispielsweise taugt maximal als Ablage für Dosenbier. Und die Toilette sucht seines Gleichen. Versifft ist noch diplomatisch ausgedrückt. Eine Europalette dient als Duschwanne. Den Pflegegrad der Toilette kann man mit Worten nicht beschreiben. Aber die kleine Blockhütte mit Ofen ist ganz gemütlich. Nachdem wir das Rindfleisch gegrillt haben - welches übrigens absolut vorzüglich und zart war - trinken wir mit dem Hausherren ein paar Bierchen in der Hütte. Er spricht gut Deutsch und behauptet Lehrer zu sein. Im Gespräch diskutieren wir über den Ist-Stand und die Aussichten Albaniens und die Gründe der langsamen Entwicklung im Vergleich zum Kosovo, bis wir schließlich mit fast überfordernd vielen, neuen Eindrücken im Gepäck ins Zelt kriechen.
Tag 6 - Montenegro und Bosnien-Herzegowina
Wie jeden Tag: Kaffee, Packen, Zahlen, Losfahren. Kurzerhand berechnet uns der Campingplatzbetreiber auch das Bier, das er gestern Abend selbst getrunken hat. Aber bei den paar Euro der Aufregung gar nicht wert. Wir gönnen es ihm und ziehen los. Erstes Etappenziel ist die Tara-Schlucht im Herzen Montenegros. Die Tara ist der Hauptquellfluss der Drin und der längste Fluss Montenegros. Die Tara-Schlucht selbst hat eine Länge von 78 Kilometern und eine Tiefe von über 1300 Metern. Sie ist damit vor den Gorges du Verdon die längste und tiefste Schlucht Europas.
Nachdem wir einige Stunden über verschlungene Wege in Montenegros Bergen gefahren sind, wähnen wir uns beim Anblick einer Brücke schon am Ziel. Sieht aber doch sehr klein aus alles, hatte ich mir dann doch imposanter vorgestellt. Ein etwas genauerer Blick auf die Karte erklärt unsere Enttäuschung. Unbemerkt sind wir eine Parallelstraße zur ursprünglich geplanten Route gefahren - und auch noch viele Kilometer von der Tara-Schlucht entfernt.
Auf dem weiteren Weg zur Schlucht fallen uns wieder die vielen Verkaufsstände am Straßenrand auf, die auch schon in Kroatiens Süden so typisch sind. Dieses Mal halten wir an, ich brauche nämlich noch ein Mitbringsel für die zu Hause gebliebene Gattin. Da kommt so ein kleiner Stand mit selbstgemachten und zusatzstofffreien Produkten gerade recht. Neben Wiesenhonig und Waldhonig werden auch Marmelade, Olivenöle und undefinierbare Kräuterextrakte angeboten. Wir probieren uns durch die Auswahl und nehmen Honig und Marmelade mit.
Dann sind wir endlich in der Tara-Schlucht. Die Überfahrt auf der Brücke ist atemberaubend. 150 Meter ist sie hoch und man hat einen weiten Blick in die mit grünen Wäldern bewachsene Schlucht. Ganz unten sieht man die Tara hellblau leuchten. Nebenan düsen gerade zwei Kinder mit der Zipline über die Schlucht. Wir nehmen erst mal einen Espresso im Café und genießen die Aussicht.
Dann machen wir uns wieder auf mit dem Ziel Durmitor Nationalpark. Dieser Teil des Landes sollte sich als schönster darstellen. Kilometerlang fährt man über die von Bergen gesäumte Hochebene. Vereinzelte Almhütten, einsam herumliegende Felsbrocken in den grünen Weiden und nicht zuletzt die perfekt ausgebaute und schön geschwungene P5 machen diesen Teil zum Hochgenuss nicht nur für Motorradfahrer. Entsprechend sind hier auch einige Wohnmobile und Cabrios unterwegs. Im Vergleich zu den Alpen stören die aber kaum, da man leicht überholen kann.
Nach vielen traumhaften Kilometern erstreckt sich unerwartet der Slansko Jezero links von uns. Ein großer See mit einer idyllisch wirkenden Insel in der Mitte. Wir nutzen den Ausblick für eine kleine Pause mit Snack. Dann fahren wir über Bosnien-Herzegowina nach Kroatien. Auch Bosnien weiß vor allem landschaftlich zu begeistern. Einige Kurven nach der Grenze schlängelt sich die Straße kurvig durch hügeliges Land. Die Landschaft ist unberührt und mit dem Meer am Horizont geeignet fürs Bilderbuch. Auch die Menschen und deren Behausungen wirken gepflegt und fortschrittlich - anders als man es sich vielleicht aufgrund diverser, unzutreffender Vorurteile vorstellen mag.
Nach dem viel zu kurzen Abschnitt in Bosnien erreichen wir wieder Kroatien und fahren den nächsten Campingplatz in Zaton an. Trotz Feiertag haben einige Lebensmittelläden geöffnet. Bevor der Grill glüht, genehmigen wir uns aber die obligatorische Abkühlung in Form von Adria und "Zeltbier".
Tag 7 - Kroatisches Inland
Heute steht das kroatische Inland an. Zum einen um den Verkehr zwischen Split und Zadar zu meiden, zum anderen aber auch um die drastischen Unterschiede zwischen Küste und Inland in Erinnerung zu rufen.
Die touristisch voll erschlossene Küste Kroatiens bietet alles, was sich der Urlauber wünschen kann. Von unzähligen Campingplätzen und Hotels über ebenso viele einladende Restaurants bis hin zu den Badestränden mit diversen Bars. Das füllt natürlich auch die Haushaltskassen der Einheimischen.
Kaum 10 Kilometer weiter im Inland merkt man davon schon nichts mehr. Kaum Bevölkerung und falls doch eher ärmlich und in deutlich fortgeschrittenerem Lebensalter. Die meisten Häuser sind heruntergekommen oder verfallen. Bosnien machte da einen aufgeräumteren Eindruck auf mich. Außer schöner Natur und schlechten Straße scheint es hier nicht viel zu geben. Die Arbeitsplätze scheinen ebenso rar zu sein und deshalb dürfte ein Großteil der jungen Bevölkerung in die größeren Städte oder in Küstennähe gezogen sein.
Diese Etappe ist nicht wirklich schön, aber nur so lernt man Kroatien realistisch kennen. Wer darauf keine Lust hat, sollte das Inland meiden und sich der Illusionen im 5-Sterne-Hotel hingeben.
Wir passieren die Stadt Knin, die übrigens eine absolut sehenswerte Burgruine beherbergt. Dann drehen wir ab Richtung Küste und suchen uns einen Campingplatz in Starigrad.
Abends lassen wir uns nochmals die vielfältigen Eindrücke der bereisten Länder durch den Kopf gehen.
Tag 8 - Starigrad bis Ovaro
Ausnahmsweise brechen wir früh am Morgen auf. Wir haben einiges vor uns. Zunächst über die Küstenstraße nordwärts bis Rijeka. Dann vorbei an Istrien und ab Triest auf die italienische Autobahn.
Beim erneuten befahren der nördlichen Küstenstraße fällt uns auf, wie schön es auch hier ist. Aufgrund des Regens vor einigen Tagen war uns das gar nicht bewusst geworden.
Dann die Autobahn mit den verhassten Mautstationen. Ich fahre als erster durch und ziehe mein Ticket. Dann muss ich im Rückspiegel sehen, was zu erwarten war: Die Station funktioniert wie so oft nicht und Hannes kann kein Ticket ziehen. Alles Knöpfedrücken hilft nichts, es kommt kein Papier und das Gehupe wird auch lauter. Also fährt er durch und wir beschließen das Problem an der nächsten Abfahrt zu regeln.
Der Herr in der Station sprich erwartungsgemäß kein Englisch und stellt Hannes eine Quittung aus. Darauf ist zu lesen: Invalid Ticket - 80 €. Das hat noch gefehlt. Nachdem wir ausgiebig über italienische Mautstationen gelästert haben, fahren wir weiter. Es sollte sich herausstellen, dass man sich an den Autobahnbetreiber wenden muss, um den Defekt der Station samt der Quittung zu melden. Dann sollte die Strafgebühr hinfällig sein.
Schließlich kommen wir in Ovaro an. Da wir auf dem Weg bereits eine Pizza gegessen haben (bestehend hauptsächlich aus Käse...wer lesen kann ist klar im Vorteil), beschränken wir uns darauf im Restaurant vor Ort den Abend mit Vino della Casa ausklingen zu lassen.
Tag 9 - Rückreise
Die Rückreise verläuft wieder unspektakulär über die österreichische und deutsche Autobahn. Auch die letzte Etappe verläuft ohne Zwischenfälle und so kommen wir am frühen Nachmittag zu Hause an.
Über Bord geworfene Vorurteile wurden durch neue Eindrücke und Erinnerungen ersetzt. In großen Teilen wurden wir von den bereisten Ländern positiv überrascht. Trotzdem gab es auch Momente, in denen man schockiert die Armut in manchen Teilen Europas erlebt. Aber auch die ärmsten Menschen waren zu keiner Zeit unfreundlichen oder feindselig. Wir haben viele hilfsbereite und offene Menschen getroffen. Eine Reise in den Balkan kann ich daher nur jedem empfehlen - insbesondere denjenigen, die gerne mal ihre Vorurteile mit der Realität abgleichen möchten ;-)